Einladung zum Gastvortrag von Prof. Dr. Wilfried Eisele (Universität Tübingen) am 11. April
Der Gastvortrag fand am Donnerstag, dem 11. April von 17:00 bis 18:30 Uhr im Hörsaal 47.02 (Heinrichstraße 78A, Erdgeschoß) statt.
Der Hebräerbrief deutet den Tod Jesu mit kulttheologischen Metaphern. Jesus ist für ihn der eine Hohepriester, nach dem es keine Priester und auch keine Opfer mehr braucht. Während am Jerusalemer Tempel levitische Priester „nach der Ordnung Aarons“ ihren täglichen Dienst verrichteten, sieht der Hebräerbrief in Jesus den Priester „nach der Ordnung Melchisedeks“, der sich durch seinen Tod am Kreuz ein für alle Mal selbst als Sündopfer im himmlischen Heiligtum dargebracht hat (Hebr 7,11.27). In der christlichen Gemeinde gibt es danach keine Priester mehr, die Opfer darbrächten, um neuerliche Sünden zu tilgen (Hebr 10,26). Sehr bald hat der Hebräerbrief jedoch entgegen seiner ursprünglichen Intention gewirkt und ist zum Kronzeugen für die Etablierung eines christlichen Priesterstandes geworden. Frühe Zeugen dieser Entwicklung sind die Opfermosaiken in den Apsiden von S. Apollinare in Classe und S. Vitale in Ravenna, wo neben Melchisedek auch Abel und Abraham mit ihren Opfern als alttestamentliche Vorbilder für das eucharistische Opfer erscheinen. Das Paradoxe an dieser Wirkungsgeschichte tritt umso deutlicher hervor, wenn man sie mit der alternativen Rezeption des Abrahamsopfers in den Fußbodenmosaiken der Synagogen von Beth Alpha und Sepphoris in Galiläa vergleicht. Dann wird klar, dass sich die Sacerdotalisierung des Christentums keineswegs zwangsläufig aus den biblischen Texten ergibt; im Fall des Hebräerbriefes ist sie nur im Widerspruch zu dessen eigener Argumentation zu haben.
Prof. Dr. Wilfried Eisele studierte in Tübingen, Jerusalem und Paris. In Tübingen wurde er 2002 mit einer Arbeit zum Hebräerbrief promoviert; an derselben Universität wurde er 2010 mit einer Studie zum Thomasevangelium habilitiert. Nach Professuren in Chur (2010/11) und Münster (2011/17) hat er seit 2017 den neutestamentlichen Lehrstuhl an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen inne. Zu seinen Forschungsprojekten zählt u.a. die Neubearbeitung des Hebräerbriefs in der Reihe „Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament“.
Das Mosaik stammt aus Sant’Apollinare in Classe (Ravenna, sechstes Jahrhundert) und zeigt die Opfer des Abel, Melchisedek und Abraham.
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